Was ist CGRP?
CGRP ist die Abkürzung für Calcitonin Gene-Related Peptide. Das klingt genau nach der Art wissenschaftlichem Jargon der einem sofort Kopfschmerzen bereitet. Aber machen Sie sich keine Sorgen, wir verschaffen Ihnen mit einfachen, leicht verständlichen Fakten einen Überblick über die Frage, was CGRP mit Migräne zu tun hat.
- CGRP ist ein Protein (eine Art kleines Teilchen), das in Ihrem gesamten Gehirn und Körper vorkommt. Es wird in vielen Zellen gespeichert und kann durch bestimmte Ereignisse freigesetzt werden. Wenn CGRP freigesetzt wird, breitet es sich durch den Körper aus und funktioniert wie eine Art “Schlüssel” für die CGRP-Rezeptoren die als “Schlösser” angesehen werden können.
- CGRP-Rezeptoren sind auf der Zelloberfläche im ganzen Körper zu finden, und wenn sie durch CGRP “geöffnet” werden, können diese Zellen eine Vielzahl von Aufgaben erfüllen, z. B. andere Moleküle freisetzen oder Signale senden. So wirkt CGRP also als eine Art chemischer Botenstoff.
- CGRP-Speicher sind besonders im Hauptnerv der für das Schmerzempfinden im Kopf und Nacken verantwortlich ist, weit verbreitet; dieser wird Trigeminus genannt.
Wenn CGRP freigesetzt wird, kann es zu einer Entzündung im Gehirn kommen, die eine Ursache für die heftigen Schmerzen eines Migräneanfalls zu sein scheint. Daher macht es Sinn, CGRP umzuleiten oder zu zerstören, richtig?
Die berauschende Geschichte von CGRP
Bei dem Prozess, die Ursache und Wirkung von Migräne zu entschlüsseln, haben Wissenschaftler eine potenzielle Angriffslinie identifiziert: CGRP anzugreifen und zu zerstören. Professor Lars Edvinsson, führender Neurologe am schwedischen Universitätsklinikum Lund war der erste mit der Vermutung, CGRP könnte aufgrund seiner Anwesenheit im Trigeminus eine Rolle bei Migräne spielen.
Er schloss sich mit einem Kollegen, Dr. Peter Goadsby, einem Neurologen am King´s College in London, zusammen, um diese Theorie zu testen. Sie begannen damit, die Konzentration verschiedener Substanzen im Blut von Migränepatienten während einer Attacke zu messen. Die signifikanteste Änderung die sich feststellen ließ waren hohe CGRP-Werte.
Das Konzept von CGRP
In den letzten Jahren haben Pharmaunternehmen eine Reihe von Medikamenten entwickelt, die darauf abzielen, das CGRP-Level zu senken und damit langfristig die Ereigniskette zu unterbrechen die zu Migräne führt.
Konkret handelt es sich um zwei Arten von Anti-CGRP-Medikamenten: monoklonale Antikörper, die darauf abzielen, CGRP quasi zu deaktivieren, und CGRP-Antagonisten, die die CGRP-Rezeptorstellen blockieren sollen:
Antikörper sind Proteine, die einen bestimmten Teil eines anderen Proteins ins Visier nehmen; sie sind entscheidend für Impfstoffe gegen diverse Krankheiten. Monoklonale CGRP-Antikörper werden mit einer Nadel in das Blut injiziert. Wenn die Antikörper auf ein CGRP-Molekül treffen, binden sie sich daran. Dann kann das Molekül nicht länger an den CGRP-Rezeptor andocken.
CGRP-Antagonisten reduzieren den Effekt von CGRP, indem sie die CGRP-Rezeptoren blockieren. Sie tun dies, indem sie an den Rezeptoren in den Blutgefäßen andocken an denen normalerweise die CGRP-Moleküle andocken.
Dr. James Banks, Vorstandsmitglied der National Headache Foundation, vergleicht den CGRP-Prozess mit dem eines Parkplatzes. Stellen Sie sich vor, Sie fahren einen großen blauen Van (das CGRP-Molekül), der nur in bestimmten Stellplätzen (Rezeptoren) parken kann. Die CGRP-Antagonisten sind kleine weiße Autos, die schneller sind als Sie und genau in diesen Parklücken parken (an den Rezeptoren andocken), sodass Sie mit Ihrem blauen Van nicht dort parken können.
Durch denselben Vergleich können auch monoklonale CGRP-Antikörper erklärt werden; sie fahren auf dem Parkplatz herum auf der Suche nach den blauen CGRP-Vans. Wenn sie einen finden, docken sie daran an, sodass er nicht mehr in die Parklücken passt. Da der CGRP-Van nirgendwo parken kann, gibt er auf und verlässt den Parkplatz. So beginnt die Migräneattacke gar nicht oder entwickelt sich nur zu einem leichten Anfall.
CGRP-Antikörper vs. andere Migränemedikamente
Anti-CGRP-Medikamente sind die ersten Arzneimittel, die speziell zur Vorbeugung von Migräneanfällen entwickelt wurden. Alle vorherigen Medikamente zur Migräneprophylaxe waren eigentlich für andere Erkrankungen entwickelt und vermarktet worden.
Es gibt jetzt eine Handvoll Anti-CGRP-Behandlungen (obwohl bisher nur eine zugelassen wurde), von denen einige vielversprechende Ergebnisse gezeigt haben. Die Hoffnung, dass diese Arzneimittel eine echte Heilung für Migräne wären, wurde jedoch nicht realisiert:
- Klinische Studien zu den CGRP-Antagonisten (die als Tabletten eingenommen werden können) zeigen, dass sie nur bei 1 von 20 Migränepatienten besser als Placebos wirken. Darüber hinaus mussten die Studien zu einigen CGRP-Antagonisten abgebrochen werden, da sich herausstellte, dass die Arzneimittel gefährliche Nebenwirkungen hatten, z. B. traten bei einigen Probanden Leberschäden auf.
- Studien zu Injektionen von monoklonalen CGRP-Antikörpern zeigeen im Allgemeinen weniger Nebenwirkungen und eine bessere Wirkung als die Antagonisten. Es wurde jedoch festgestellt, dass das Arzneimittel nur bei einem von sechs Patienten eine bessere Wirkung hatte als das Placebo. Dies ist insgesamt ein niedrigeres Verhältnis als bei den bereits vorhandenen Arzneimitteln gegen Migräne (Triptane und rezeptfreie Schmerzmittel), wird jedoch definitiv einigen Migränepatienten helfen können.
Vor kurzem kam das erste monoklonale CGRP-Antikörper-Medikament unter dem Markennamen Aimovig auf den Markt. Das Medikament muss einmal im Monat mit der Nadel injiziert werden und kostet dabei pro Jahr 6900 US-Dollar. Aufgrund der hohen Kosten für eine relativ geringe Wirkung lehnten die britischen Gesundheitsbehörden kürzlich die Kostenerstattung von Aimovig ab. Andere europäische Länder dürften dem folgen – und nur die 1% der am stärksten betroffenen Patienten mit chronischer Migräne davon ausnehmen.
Antidepressiva, Arzneimittel gegen Bluthochdruck und Medikamente gegen Epilepsie werden seit vielen Jahren in den schwersten Fällen zur Vorbeugung von Migräne eingesetzt, obwohl der Gesamteffekt gering bis mäßig ist und häufig problematische Nebenwirkungen beobachtet werden. Im Vergleich zu diesen Medikamenten wirken die monoklonalen CGRP-Antikörper nicht besser, sie haben jedoch den Vorteil, dass sie zu weniger Nebenwirkungen führen. Trotzdem ist zusätzliche Forschung erforderlich, um mögliche langfristige nachteilige Auswirkungen bestimmen zu können. Es besteht die Gefahr, dass Patienten bei langfristiger Behandlung mit CGRP-Antikörpern selbst Antikörper gegen die Behandlung entwickeln könnten.
Der Grund der britischen Gesundheitsbehörden, Aimovig abzulehnen, lag darin, dass das neue Medikament nicht besser als die derzeit beste Behandlung zur Vorbeugung von Migräne: Botox-Injektionen. Das Spritzen von Botuliniumtoxin (kurz Botox) in die Stirn, die Schläfen und den Hinterkopf ist bei einigen Patienten mit chronischer Migräne wirksam (1 von 8,3 Patienten ist in der Lage seine Migränetage zu halbieren), aber schmerzhafte und kostspielige Injektionen in den Kopf, und das alle 12 Wochen, sind nicht ideal – vor allem, wenn es sich um das tödlichste Gift handelt, das bekannt ist.
CGRP-Antikörper: Hype vs. Realität
CGRP-Hemmer sind in der Tat eine interessante Entwicklung auf dem Gebiet der Migränebehandlung, aber wie aus den obigen Informationen und Zahlen deutlich hervorgeht, steht ihr tatsächlicher Behandlungseffekt in keinem Verhältnis zu dem extremen Hype, den die pharmazeutischen Unternehmen ausgelöst haben. Dies wurde auch von Journalisten unterstützt, die wissen, dass ein Artikel mit der Überschrift “Heilung für Migräne” viele Klicks generiert.
In der Tat waren Pharmaunternehmen in letzter Zeit besonders darauf bedacht, einen CGRP-Hype zu generieren, da die Gesundheitsbehörden einer Reihe von Ländern derzeit entscheiden, ob sie die Kosten dieser sehr teuren Medikamente erstatten werden. Indem sie die Hoffnung auf eine “Migräne-Heilung” schüren erwarten die Unternehmen, dass die Patienten ihre Ärzte unter Druck setzen, diese Medikamente zu niedrigen Kosten zu verschreiben, was wiederum diese dazu zwingen wird, sich für die Kostenerstattung durch öffentliche oder private Versicherungen einzusetzen.
Die CGRP-Hemmer wurden zu enormen Kosten und mit großen Erwartungen von Investoren entwickelt. Es ist daher verständlich, dass Pharmaunternehmen nun versuchen, diese durch das Generieren eines Hypes wieder auszugleichen!
Fazit
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die neuen Antikörper gegen CGRP keine Heilung für Migräne sind, da sie nur einem kleinen Teil der Patienten helfen werden. Außerdem sind sie sehr teuer. Es bleibt daher dabei, dass nach wie vor ein großer Bedarf an neuen Behandlungen besteht, sowohl zur Vorbeugung von Migräne als auch zur Behandlung akuter Anfälle.